Im Herzen Georgiens

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„An der Frucht kann man den Baum erkennen“ – altes, georgisches Sprichwort

Der ‚Balkon Europas’, so wurde Tiflis von europäischen Zeitgenossen des 18. und 19. Jhdts. oft zärtlich umschrieben. Die georgische Bezeichnung Tblissi, wörtlich ‚Ort der Wärme’, ist die Hauptstadt Georgiens und mit ca. 2 Mio Einwohnern die dichtbevölkerste Stadt Georgiens. In der Mitte des Kaukasus gelegen, strotzt dieser umtriebige, vielfältige und moderne Vielvölkerstaat, der von über 26 verschiedene Volksgruppen beherbergt wird, von Aufbruchsstimmung und innovativen StartUp-Ideen. Im Gegensatz zu Armenien will man sich hier anno 2019 vom langen Arme Moskaus wenig diktieren lassen. Das Konfliktpotential ist gegeben und so befindet sich auch heute noch, keine 20km von der georgischen Grenze entfernt, stationiertes, russisches Militär. Den Tiefpunkt dieser spannungsgeladenen Beziehung bildete dabei sicher der 5-Tage-Krieg im Jahre 2008.

 

Buntes Treiben in der Altstadt – an den Ständen findet man allerhand Handgefertigtes

Dabei haben seit jeher verschiedenste Bevölkerungsgruppen diesem kleinen Kaukasusstaat angehört! So befindet sich etwa 65 km von Tiflis entfernt die Stadt Katharinenfeld (heute Bolnissi), die von deutschen Auswandern, die vor der Hungersnot in Schwaben flohen der Einladung des Zaren Alexanders in den Kaukasus folgten, 1817 als deutsche Kolonie gegründet wurde. Nachfahren der 2. oder 3. Generation leben noch heute dort, pflegen ihre deutsche Rituale und sprechen einen ganz eigenen ‚schwäbischen’ Dialekt – und das ohne je einmal deutschen Boden gesehen oder gar berührt zu haben.

 

Das Historische Kaufhaus in Tblissi (r.) – Ausstellungen, Kunsthandwerk und eine Vinothek

Aber Georgiens Tourismus boomt und das nicht erst seit der Frankfurter Buchmesse 2019, in dem Georgien Gastland war. Nein, auch der Kultfilm Weit – Die Geschichte von einem Weg um die Weltvon den Freiburger Autoren Gwendolin Weisser und Patrick Allgaier und die in Berlin lebende Regisseurin und Schriftstellerin Nino Haratischwilli haben das Image Georgiens gehörig aufpoliert und dieses kleine Kaukasusland zu einem der beliebtesten Reise-Hotspots der letzten Jahre aufblühen lassen.

 

Bilder, Bücher und Kirchen – im alten Stadtzentrum reiht sich eine Sehenswürdigkeit an die nächste

Ich hatte das Vergnügen einige Tagen im bunten Tiflis zu verbringen und habe mich sofort in das grüne, südländische Klima und die Herzlichkeit der Menschen verliebt. Gastfreundschaft ist auch hier, wie in allen osteuropäische Kulturen, nicht einfach eine Floskel, sondern gelebte Herzlichkeit. Dabei springt einem in Tblissi immer wieder der stark wachsende Widerspruch zwischen Ost und West, zwischen Tradition und Moderne ins Auge, der das Stadtbild maßgeblich prägt. So findet man einerseits hochmoderne, architektonische Würfe, wie das Justizministerium, unter Einheimischen aufgrund ihrer Form oft auch ‚die Giftpilze’ genannt, oder aber der Stahlbeton – die Friedensbrücke. Die 150 Meter lange, überdachte Brücke wurde am 6. Mai 2010 eröffnet und verbindet die Tifliser Altstadt mit dem neu gestalteten Rike-Park, in der Nähe des pompösen, auf einem Hügel thronenden Präsidentenpalastes. Dennoch ist die Verbundenheit zu Natur und Landschaft jederorts spürbar. Landwirtschaft war in Georgien seit jeher der wirtschaftsstärkste Faktor und so verwundert es wenig, dass an jeder Ecke frisches Obst und Gemüse, handgereifter Käse (unbedingt traditionellen Sulguni probieren) und der Duft frisch gebackenen Brotes aus jeder noch so kleinen Kellernische duftet!

 

Unweit der Metro-Station Avlabari  – Metrofahren ist wie in allen postsowjetischen Ländern nach wie vor unschlagbar günstig und eines der einfachsten Fortbewegungsmöglichkeiten. Eine Fahrt kostet 0.50 Lari (ca 0,16 €) – befindet sich auf einem Hügel gelegen das hübsche Café Flowers, von dem man gerade abends einen umwerfenden Blick auf den Park und das Tblisser Nachtleben genießen kann. Neben gutem Kaffee werden hier auch frische Salate und andere Leckereien serviert.
Vom besagten Rike-Park, in dem Jung und Alt abends oft zusammensitzen und regelmäßig Konzerte gegeben werden, kann man mit der Stadtgondel für 3 Lari
(etwa 1 €) über die Dächer von Tiflis schweben und landet am 128ha großen Botanischen Garten. Hier kann man sich nach Lust und Laune an den Mysterien kaukasischer Flora und Fauna ergötzen, den japanischen Ziergarten besuchen, Kaffee trinken und sogar Zipline fahren. Wer Abenteuersport sucht, muss also nicht länger nach Neuseeland jetten, sondern lässt sich einfach in Tiflis angurten.

 

Kleine Stadtoase: das Café Flowers 

Hat man es schon einmal nach da oben geschafft, empfehle ich einen kurzen Abstecher zu ‚Mother Georgia’, auf Georgisch Kartlis Deda, genannt. Dieses 23m hohe Aluminiummonument wurde 1958 zum 1500jährigen Stadtjubiläum errichtet und symbolisiert, in der einen Hand eine Weinschale (zur Begrüßung der Freunde), in der anderen ein Schwert (zur Abwehr feindlicher Kräfte) haltend, die Stadt Tiflis.

 

  Blick von oben , Monument der Mother Georgia (r.S.)

Daneben empfiehlt sich ein Spaziergang durch die Altstadt. Das Bethlemi-Viertel ist sowas wie das Herz Tblissis und hier finden sich auf engstem Raum eine Moschee, Synagoge, eine armenische Kirche und die älteste georgische Kirche Tblissis vor. Mehr little Jerusalem findet man wahrscheinlich nur noch in Sarajevo. Georgien ist – ähnlich wie Armenien – eines der ältesten, christlichen Kulturen und hat das Christentum bereits im 4. Jdht. zur offiziellen Staatsreligion erklärt.
Die Kirchen sind untertags geöffnet und jederzeit betretbar. Mit ein wenig Glück läuft man sogar geradewegs in eine Messe hinein und hat so die Gelegenheit einen georgischen Gottesdienst aus allernächster Nähe beizuwohnen. Und wem nach all dem Laufen die Haxen brennen, der genehmige sich eine Behandlung in einer der umliegenden Bäder im Abanotubani, dem traditionellen Bäderviertel von Tblissi. Ähnlich wie im Hamam wird hier geschrubbt, geknetet und massiert, sodass man nach einem solchen Besuch wie ein frisch gewaschener Babypopo aus den heißen Quellen marschiert.

 

 Bunte Bäderanstalt im Herzen der Innenstadt 

Doch Tblissi ist weit mehr als ein verschlafenes, religiöses, kleines Nest. In den letzten Jahren habe gerade junge Georgie in Tiflis eine Clubkultur und Nachtleben etabliert, das locker mit dem Tempo Berlins oder Tel Avivs mithalten kann. Hier wird gefeiert, getanzt und die Nacht schnell mal zum Tage gemacht. Junge, georgische Studenten erklären mir, dass der Alltag hier oft hart und reglementiert sei. Die Jugend brauche Freiräume, in denen Exzesse, aber auch Nischen für Randgruppen wie die LGBT-Gemeinde oder Transgender-Community sich sicher und gefahrenlos ausleben können. Bis vor einem Jahr pflegte Georgien noch eine Zero-Toleranz-Politik gegenüber Drogenkonsum. Schon kleinste Mengen harmlosen Marihuanas führten zu oft drakonischen Gefängnisstrafen. Junge, georgische Aktivisten setzten sich für die Lockerung der Gesetzgebung ein, die 2018 teilweise auch erfolgreich umgesetzt wurde.

 

Jung, modern und schnelllebig – auch das ist Tblissi

Daneben hat ganz Georgien natürlich eine wunderbare Kaukasus-Küche zu offerieren. Wer einmal die hiesigen Mezze (Spinatcrèmes, gefüllte Auberginen mit Walnusspaste, Rote-Beete-Salat mit Dill oder schlicht der georgische Käse!) mit einem der heißbegehrten und in 1001 Variation des lokalen Chatschapuri (gebackener Blätterteig mit Käsefüllung) gekostet hat, wird sich nur schwerlich wieder von der Küche losreißen können. Jederzeit frisch zubereitet finden sich diese lokalen Köstlichkeiten nahezu an jeder Straßenecke für sprichwörtlich ’nen Appel und ’nen Ei.

 

   Lecker essen geht überall

Und ja, auch Weinliebhaber kommen voll auf ihre Kosten. Als eines der ältesten (Georgien scheint in dieser Hinsicht jeden Superlativ abzugreifen) Weinländer der Welt, wird hier bereits seit gut 7000 Jahren Wein kultiviert.
Von ca. 4000 Rebsorten weltweit, stammen 500 autochthone aus Georgien.
Der Clou: viele dieser Weinsorten wurden im traditionellen Verfahren gekeltert und unter der Erde (’’pod semloi’’) in hauchdünnen Tonfässern, sogenannten Kwewri, die zwischen 10 und 1000 Liter fassen können, vergoren. So unterscheiden sich nicht nur die Rebsorten voneinander, sondern auch das Gärungsverfahren und die Herstellungsweise. Als passionierte Rotweintrinkerin habe ich mein Herz an die Saperavi-Traube verloren, aus der tiefrote, trockene und intensiv-schmeckende Weine gekeltert wird. Weißweintrinkern empfehle ich, sich an der autochthonen Sorte Kisioder Mtsvanezu probieren. Daneben findet man natürlich überall in Tblissi auch die altbekannten, europäischen Sorten wie Riesling, Chardonnay, Merlot oder Pinot Noir. Aber warum immer das ewig gleiche trinken, wenn man einmal in 7000 Jahre alte Weingeschichte einsteigen kann?

 

Österreichisches Backwerk, Affe & попуга́й und natürlich die herzlichste Fremdenführerin der Stadt: im bunt gemixten Tblissi ist alles möglich!

Abschließend erlaube ich mir noch einen kleinen Kommentar zur Verständigung. Georgier sind Südländer und generell offen, neugierig und äußerst kommunikativ. Da kommt einem als blonder Mitteleuropäer das Georgische, welches zur Sprachfamilie des Kartwelischen gehört, mit seinem abgefahrenen Alphabet nicht unbedingt gelegen. Entwarnung darf insofern gegeben werden, als dass die ältere Generation nahezu ausnahmslos fließend Russisch spricht und die Jüngeren sich mehr und mehr dem Englischen zuwenden. Ansonsten kann ich aus Erfahrung bestätigen, dass Gamardschoba (Hallo/Guten Tag), Madloba (Danke) und Gemrieli (Lecker!) immer noch die besten kulturellen Türöffner sind.

 

Grün, grüner, Tblissi – hier im Rike-Park

In diesem Sinne: auf bald, liebes Georgien! Ich komme sicherlich noch einmal, um mich ein Stückchen weiter durch die Weiten der Weinlandschaft zu trinken, im herrlichsten Chatschapuri zu schwelgen und Körper und Seele in der Hafenstadt Batumi baumeln zu lassen.

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